Belagerung Bretten im Juni 1504

Einmal im Jahr am ersten Juli-Wochenende verwandeln sich die Stadt Bretten und ihre Bewohner in die Zeit des frühen 16. Jahrhunderts. Groß und Klein bereiten sich darauf in vielfältigen Gruppierungen das ganze Jahr vor und schlüpfen begeistert in die mit viel Sachkenntnis selbst geschneiderten historisch authentischen Gewänder. An vier Tagen unternimmt die Stadt eine farbenfrohe Zeitreise in eine bedeutsame Zeit des späten Mittelalters. Mit dem seit 2014 von der deutschen UNESCO in das bundesweite „Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes“ (www.unesco.de/immaterielles-kulturerbe) aufgenommenen Peter-und-Paul-Fest, wird dieses von großer Integrationskraft aller Bevölkerungsgruppen getragene Fest begeistert gefeiert.


Eine Stadt lebt ihre Geschichte.

Die Wurzeln dieses ältesten südwestdeutschen Volks- und Heimatfestes gründen sich auf drei historisch verbriefte Quellen:
Den Schäfersprung mit Schäfermarkt, von dem noch 1634 belegt ist, dass dort „seit alters her“ ein Wettlauf stattgefunden habe.
Die Entwicklung der Brettener Bürgerwehrtradition, wonach Ladebriefe zu einem Wett-schießen wehrhafter Bürger bereits im 16. Jahrhundert belegt sind und aus denen später die Bürgerwehren (erstmals urkundlich erwähnt in Bretten 1824) entstanden sind.
Und schließlich ist es die im Juni 1504 erfolgte erfolgreiche Abwehr der Belagerung der Stadt durch den württembergischen Herzog Ulrich im Rahmen des Landshuter Erbfolgekrieges, die im Mittelpunkt der detailliert überlieferten Geschehnisse des Festes stehen.

Der Landshuter oder pfälzisch-bayrische Erbfolgekrieg

Um die lokal in Bretten 1504 geschehenen Ereignisse in ihrer gesamten Dimension historisch einordnen zu können, muss man die Grundzüge dieses klassischen Konflikts zwischen den Reichsfürsten, in den auch der Habsburger König und (ab 1508) spätere Kaiser Maximilian I. involviert war, verstehen. Wie meistens ging es um Machtansprüche, die sich aus Erbstreitigkeiten ergaben. Das 16. Jahrhundert war nicht nur vom Ringen um den wahren Glauben, sondern auch von großen kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt.

Seit 1479 regierte der Wittelsbacher Georg der Reiche von Bayern-Landshut über ein sehr weitreichendes Gebiet. Er ist uns durch seine pompöse Heirat 1475 mit Hedwig, der Tochter des polnischen Königs bekannt, die auch heute noch alle vier Jahre mit der „Landshuter Fürstenhochzeit“ gefeiert wird. Georg wurde insbesondere durch seine Bergwerke in Reichenhall und Kitzbühel vermögend.

Da er ohne männlichen Erben geblieben ist, war die zwingende Folge der Wittelsbacher Hausverträge, dass sein Herzogtum nach seinem Tode an die Münchner Verwandten, die Linie der Herzöge von Bayern-München gehen werde. Nachdem es 1489 zum Bruch mit der Verwandtschaft und seinem Vetter Albrecht kam, vererbte Herzog Georg am 14. September 1496 sein Herzogtum testamentarisch an seine Tochter Elisabeth. Da seitens der Familie schon länger enge und verwandtschaftliche Beziehungen zur pfälzischen Kurlinie in Heidelberg bestanden, bestimmte er zusätzlich den Sohn des Pfalzgrafen Philipp, den damals 15 jährigen Ruprecht von der Pfalz, zu seinem Erben und zukünftigen Schwiegersohn. Das brachte natürlich nicht nur seinen verfeindeten Vetter Albrecht gegen ihn auf, sondern auch König Maximilian I. und die meisten Reichsfürsten, die alle gegen diese Erbfolge heftigen Widerspruch erhoben.

Die in diesem Testament bestimmte Ehe zwischen Elisabeth von Bayern-Landshut und ihrem Cousin Ruprecht von der Pfalz wurde am 10. Februar 1499 mit großem Glanz in Heidelberg geschlossen. Herzog Georg von Bayern-Landshut setzte im Dezember 1503 auf dem Totenbett seinen Pfälzer Schwiegersohn Ruprecht als Statthalter ein. Außer Markgraf Christoph von Baden, der sich an den dem Pfalzgrafen geschworenen Lehenseid gebunden fühlte, erhoben sich die alten und neuen Gegner der Pfalz: König Maximilian, die Herzöge von Bayern-München, die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, die Stadt Nürnberg, der Schwäbische Bund, Herzog Ulrich von Württemberg, der Landgraf von Hessen, die Grafen von Hohenlohe, Leiningen, Zweibrücken u.a. Die Herzöge von Bayern-München, selbst sehr um die Mehrung ihres Herrschaftsgebietes bemüht, sahen sich um ihr verbrieftes Erbes betrogen.

Doch für die sich abzeichnenden kriegerischen Auseinandersetzungen waren nicht nur die verletzten Erbansprüche ausschlaggebend. Die seit zwei Jahrhunderten andauernde extensive Territorialpolitik der Kurpfalz war vielen schon lange ein Dorn im Auge. Seit dem frühen 14. Jahrhundert hatten die Pfalzgrafen ihr Herrschaftsgebiet über den gesamten südwestdeutschen Raum sukzessive ausgeweitet und straff und klug verwaltet. So wurden sie u.a. 1349 für die nächsten 450 Jahre auch die Herren von Bretten. Dieser ständige Gebietszuwachs führte zu einem deutlichen Machtzuwachs in der Reichspolitik. Pfalzgraf Ruprecht III. wurde von 1400 bis 1410 sogar deutscher König. Klar, dass diese kurpfälzische Politik auch schon 100 Jahre vor dem Landshuter Erbfolgekrieg Gegenreaktionen auslösten, um diese Machtbestrebungen zu begrenzen. Mit wenig Erfolg zwar, denn die Kurpfalz setzte die aggressive Hausmachtpolitik unvermindert fort. Man schreckte auch nicht vor kriegerischen Auseinandersetzungen zurück, bei denen die Kurpfalz immer häufiger die habsburgischen Territorialinteressen im Süden des Oberrheins, aus deren Haus der Habsburger Kaiser Friedrich III. selbst stammte, tangierten.

Die Kurpfalz war um 1500 die politisch stärkste und militärisch bedeutendste und dominierende Macht im Südwesten Deutschlands. Dazu kam ein immenser Streubesitz im Elsass, im Hunsrück, am mittleren Neckar und im ostbayrischen Raum um Amberg. Wäre es jetzt noch zu der durch Georg von Bayern-Landshut testamentarisch vorgesehenen Verbindung mit der Kurpfalz gekommen, hätte das zu einem hegemonialen Machteinfluss in Süddeutschland geführt. Weder der Kaiser noch die unmittelbar benachbarten Landesfürsten Herzog von Württemberg und der Landgraf von Hessen waren bereit, dieser Entwicklung tatenlos zuzusehen. Württemberg war 1495 von einer Grafschaft zum Herzogtum erhoben worden und interessiert, seine Regionalmacht durch eigene Ambitionen auszudehnen.

Nach dem Tode Georg des Reichen vollzog der Kaiser nach dem Reichsrecht die offiziell eintretende Belehnung der Herzöge von Bayern-München mit den Landshuter Besitzungen. Ruprecht von der Pfalz und seine Gemahlin Elisabeth ignorierten diese Belehnung und fühlten sich als rechtmäßige Erben der Ansprüche von Bayern-Landshut. Am 17. April 1504 wurde Landshut handstreichartig von kurpfälzischen Gefolgsleuten eingenommen. Mit seiner Frau Elisabeth bezieht Ruprecht das Landshuter Schloss. Am Nachmittag nahm Elisabeth im Rathaus die Huldigung als neue Landesherrin entgegen. Weitere Städte des Herzogtums wurden unter die Dienste der Kurpfalz gestellt.

Am 23. April 1504 verhängte Maximilian, damals noch röm.-deutscher König, über Ehemann Ruprecht von der Pfalz die Reichsacht. Bald formierte sich eine kriegsbereite Koalition, die sich von der expandierenden Heidelberger Politik in ihren eigenen Absichten gehindert sah.

Kurfürst Philipp von der Pfalz hat die Folgen der Testamentsbestimmung durch Herzog Georg des Reichen 1496 realistisch eingeschätzt und früh damit begonnen, Vorbereitungen für einen möglichen Kriegsbeginn zu treffen. So bewilligte er im August 1497 der Stadt Bretten eine Anleihe von 200 Gulden, um den weiteren Ausbau der Stadtbefestigung fortzusetzen. Bretten hatte während dieser Zeit besondere strategische Bedeutung. Man war sowohl Kreuzungspunkt verschiedener Fernhandelsstraßen, als auch nach Heidelberg die zweitwichtigste rechtsrheinische Stadt der Kurpfalz mit Sitz einer Amtsverwaltung für den Kraichgau und den angrenzenden Stromberg.

Vier Kriegsschauplätze

Der junge Pfälzer Ruprecht gilt als Urheber des nun im Mai 1504 beginnenden Erbfolgekrieges, der sich schwerpunktmäßig auf vier Kriegsschauplätzen verlagerte.

Im Norden, am Mittelrhein, an Nahe und Bergstraße sowie im heutigen Rheinhessen bedrängte der Landgraf von Hessen die kurpfälzischen Besitzungen. Östlich zogen sich die Kämpfe vom heutigen Mittelfranken bis in weite Teilzonen Oberösterreich und Tirol hin. König Maximilian konnte ziemlich ungestört im Süden am Oberrhein und in der Ortenau mit Unterstützung des Schwäbischen Bundes vordringen, da die Pfälzer einige Truppen an strategisch wichtiger eingeschätzte Positionen verlagerten. Aus der Chronik des Georg Schwartzerdt wissen wir, dass u.a. das sogenannte „Ortenauer Fähnlein“ vom Kurfürsten nach Bretten abkommandiert worden war. Auf dem westlichen Kriegsschauplatz rückte das Heer des gerade mal 17 jährigen Herzog Ulrich von Württemberg vom Illinger Feld über Maulbronn und Knittlingen nach Bretten vor. Das unter dem Schutz des pfälzischen Kurfürsten stehende Kloster Maulbronn wurde nach kurzem Widerstand eingenommen, genau wie Knittlingen und ein paar kleinere Dörfer.
Nun stand dieses vom Schwäbischen Bund und mit 87 französischen Rittern und 381 Pferden verstärkte zahlenmäßig weit überlegene Heer vor Bretten. Schwartzerdt gibt die Stärke des württ. Heeres mit 30.000 Mann an, aus anderen Quellen (C.F. Stälin, Wirtembergische Geschichte IV, S. 59) werden 20.000 Fußsoldaten und 800 Reiter genannt.

Am 18. Mai 1504 erreichte den pfälzischen Kurfürsten in Heidelberg die Kriegserklärung von Ulrich von Württemberg.

 

Die Belagerung Brettens 1504

Als besonders wertvolle und einzigartige Quelle gilt die schon erwähnte „Erzelung der Belagerung der Statt Bretten im Jare 1504“ mit einer am 25. Januar 1561 verfassten Widmung an den Pfalzgrafen Christoph, den Sohn des Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz, der vom Brettener Schultheiß Georg Schwartzerdt einen Bericht über die Ereignisse der Belagerung verlangt hatte. Schwartzerdt war der vier Jahre jüngere Bruder Philipp Melanchthons. Beide erlebten als sieben- und dreijährige Brüder die sehr nervöse und angespannte Stimmung in der Stadt, zumal das Haus des Großvaters Johann Reuter, in dem die Familie Schwartzerdt wohnte, mitten am Marktplatz stand. Georg Schwartzerdt war von 1546 bis 1562/63 Schultheiß und Vorsitzender des Gerichts und deshalb geeignet, die historischen Ereignisse detailliert aufzuzeichnen. Naturgemäß konnte er das nicht aus eigener Anschauung und Erinnerung, sondern stützte sich auf die Aussagen von für ihn glaubwürdigen Augenzeugen. Namentlich nennt er den Ritter Conrad von Sickingen, der 1504 als Amtmann in Bretten das Kriegsgeschehen mit koordinierte, den adeligen Ritter Erpf Ulrich von Flehingen, der sich durch kühne eigene Scharmützel auszeichnete und 1508 Nachfolger des Konrad von Sickingen als Amtmann in Bretten wurde. Die konkrete Belagerung als Kernstück der Erzählung hat Schwartzerdt nicht erst 1561, zum Zeitpunkt der Widmung an den jungen Pfalzgrafen, sondern einige Zeit vorher niedergeschrieben. Erpf Ulrich von Flehingen ist 1542 gestorben, sodass die Interviews mit den beiden Kriegsteilnehmern schon weit vorher geführt worden sein müssen. Selbst wenn man unterstellt, dass das menschliche Erinnerungsvermögen über lange Zeit hinweg an Verlässlichkeit verliert und man auch berücksichtigt, dass heldenhafte Augenzeugen im Rückblick manches überhöhen, können wir durch die Prägnanz und Detailliertheit der geschilderten Ereignisse von hoher Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit des Berichtes ausgehen, auch wenn im Widmungsbrief an Pfalzgraf Christoph durchaus der Stolz des Brettener Schultheißen mitschwingt, den überlegenen Truppen des Herzogs Ulrich von Württemberg erfolgreich widerstanden zu haben. Es ist ja nicht zuletzt dieser Stolz der Brettener, der bis heute die Grundlage für das seit Jahrhunderten gefeierte Peter-und-Paul-Fest umgibt.

Von Bruder Philipp Melanchthon, dem Universalgelehrten und Reformator, der seit 1518 in Wittenberg im Umkreis von Martin Luther lebt und lehrt, kennt und liest man keinen Kommentar zur Belagerung von Bretten. Überliefert ist immerhin sein Hinweis, die Pfälzer hätten den Krieg nur begonnen, da sie eine große bayrische Erbschaft zu machen hofften. Auch das kann als Hinweis betrachtet werden, dass Melanchthon die aggressive pfälzische Herrschaftserweiterung missfallen hat. Philipp hatte sicherlich stärker als sein Bruder Georg die Reichsperspektive im Blick, zum anderen dürfte er doch konkrete Erinnerungen an diese kriegsbelasteten Wochen gehabt haben. Als Kind musste er mit ansehen, wie sein Großvater während der Belagerung der Stadt von meuternden wütenden Landsknechten bedroht wurde, weil sie ihren Sold nicht gleich erhielten. Am dritten Tag der Belagerung ersticht am Marktbrunnen ein Landsknecht aus Weingarten aus Wut mit einem Sauspieß einen Landsknecht vom Ortenauer Fähnlein. Der Täter flieht in das Haus des Großvaters Johannes Reuter. Aufgebrachte Kumpane des getöteten Söldners verfolgten den Täter und setzten Reuter Spieße und Hellebarden auf die Brust. Erst als klar wurde, dass der Täter durch das am Tage offen stehende Salzhofer Tor geflohen war, zogen die aufgebrachten Kämpfer des Ortenauer Fähnleins wieder ab. Und schließlich kam ja der Vater, Georg Schwartzerdt, der Waffenschmied und Rüstmeister des Kurfürsten Philipp der Aufrichtige schwerkrank von der hessischen Front zurück, wovon er sich nicht mehr erholte und nach vier Jahren schwerem Siechtum im Oktober 1508 mit 49 Jahren verstarb und die Mutter mit fünf Kindern alleine da stand. Zweifellos waren diese Kriegserlebnisse eine „Wurzel seines lebenslangen Wirkens für Frieden durch Überbrücken der Gegensätze“ wie Melanchthon-Kenner Heinz Scheible formuliert. Krieg war für Melanchthon nie eine Option.

 

Der Kriegsverlauf

Nach der Einnahme des Klosters Maulbronn und von Knittlingen schlug Herzog Ulrich von Württemberg am 11. Juni 1504 am Stegersee an der Gemarkungsgrenze zwischen Knittlingen und Bretten das Hauptlager seiner großen Streitmacht auf. Kurz darauf richtete ein heftiges Unwetter beträchtlichen Schaden an den Zelten an. Man kann sich vorstellen, dass das der Kampfmoral Ulrichs Truppen nicht gerade förderlich war. Dazu verursachte die große Sommerhitze vor allem den in Rüstungen stehenden Kämpfern keine angenehmen Bedingungen. Am 18. Juni verließ er sein Lager am Stegersee und rückte mit seiner riesigen Wagenburg von Fuhrwerken und Geschützen vor die Stadt auf der Anhöhe vor Gölshausen. Im Nordosten der Stadt errichtete er seinen Geschützpark mit einer großen Schanze aus Hunderten mit Sand gefüllten Schanzkörben. Als besonders bedrohliche Waffe hatte Herzog Ulrich für seinen Feldzug die schwere Kanone „Ketterlin“ aus Ulm ausgeliehen und mitgeführt.

Schwartzerdts Chronik beschreibt detailliert wie sich Bretten auf die Verteidigung vorbereitete. Neben den bewaffneten Bürgern schlossen sich viele umliegenden Gemeinden, eine Reihe von Adeligen aus dem Kraichgau aber auch bewaffnete Formationen an, die von weiter her den Marschbefehl hatten, die Stadt zu schützen. Der Pfalzgraf hatte kriegserfahrene adlige Offiziere und Landsknechtsführer entsandt. Der Niederländer Marsilius von Reifenberg* hatte das Oberkommando neben dem kurpfälzischen Vogt Conradt von Sickingen.
Auch militärisch war man gut gerüstet. Es gab klare organisatorische und strategische Vorkehrungen und Festlegungen über Ausrüstung, personelle Zuordnungen und Verhalten bis hin zum Tragen von Erkennungsmerkmalen. Neben schweren Geschützen gab es viele kleine Handkanonen, unterschiedliche Stein- und Handbüchsen, Fässer mit Brandpfeilen u.a. Die Proviantvorräte an Korn, Mehl, Hafer, Dinkel usw. waren ausreichend und auch die Weinlager waren gut gefüllt.

Die ersten acht Tage hatte man überstanden und der erste Schrecken hatte etwas nachgelassen. Viele Geschosse sind über die Stadt hinweggefegt und die Schäden, die man an der Stadtmauer erlitt, konnten in der jeweiligen Nacht durch Mithilfe der Bevölkerung ausgebessert werden. Dass eine solche Bedrohung innerhalb einer engen Stadt auch zu Spannungen und Streitereien führen kann, lässt sich durch einige Vorkommnisse und störenden Zwischenfälle belegen. Sehr willkommen und möglicherweise kriegsentscheidend waren die vom Pfalzgrafen entsandten gutgerüsteten 1.500 Landsknechte als Verstärkung. Sie brachten auch den rückständigen Sold der Soldaten mit, was der Moral und Motivation förderlich war. Die Bevölkerung sah, dass der Pfalzgraf seine Stadt Bretten mit allen Mitteln halten wollte. Und dazu reifen inzwischen Pläne, wie man den württembergischen Belagerern Paroli bieten konnte.

 

Der überraschende Ausfall am 28.Juni 1504

Die Hauptleute einigten sich auf den berühmt gewordenen Ausfall, der am Freitag, den 28. Juni erfolgen sollte. Erst kurz vor Tagesanbruch wurde der Plan bekanntgegeben. Der Ausfall richtete sich nur gegen die württembergische Schanze. Um 8.00 Uhr machten sich rund 500 gering bewaffnete Männer als „verlorener Haufen“ auf den Weg. Dahinter folgten 70 bewaffnete Bürger und rund 1.000 gerüstete Landsknechte als Absicherung. Der Plan ging auf. Man überrumpelte die völlig überraschten Gegner am Morgen in ihrer Schanze beim Karten- und Würfelspiel, beim Reinigen der Kleider oder anderen Beschäftigungen. Es gab Tote und man nahm Gefangene, viele konnten fliehen. Geschütze und Waffen wurden in die Stadt gebracht und die Geräte und Kanonen, die nicht transportiert werden konnten, wurden untauglich gemacht. Im württembergischen Hauptlager entstand große Aufregung und Verwirrung.
Der Ausfall endete nach Schwartzerdts Bericht ohne Verluste für die Brettener, während die Württemberger etwa 250 Mann zu beklagen hatten. Hierzu gibt es aber auch Aussagen württembergischer Zeitzeugen, die die Verluste mit jeweils hundert angeben.

Herzog Ulrich antwortete am nächsten Tag mit heftiger Beschießung, woraus man auf seinen Zorn über die erlebte Demütigung schließen kann. Doch seine Versuche, die Stadt wegen der anhaltenden Trockenheit in Brand zu setzen, gelangen nicht. Ulrich schrieb an König Maximilian, dass er nach 13 Tagen Belagerung noch immer keinen erfolgreichen Abschluss sehe, weil die Stadt immer neue Unterstützung bekomme und forderte weitere Geschütze.

Es kam ihm sicherlich nicht ungelegen, als Pfalzgraf Philipp einen Vergleich anbot und am 2. Juli mit seinem Sohn und designierten Nachfolger Herzog Ludwig – durch seine Braut sogar der künftige Schwager Ulrichs – noch am gleichen Tag in Knittlingen einen Waffenstillstand vereinbarte.

Für Bretten war damit die Gefahr endgültig gebannt und die Stadt vor Erstürmung und Plünderung bewahrt. Ulrich zog mit seinem Heer weiter vor kurpfälzische Besitzungen wie Besigheim, Burg Löwenstein, Weinsberg oder Möckmühl, die er alle nach unterschiedlicher Dauer der Belagerung einnahm und die nach dem endgültigen Friedensschluss bei Württemberg verblieben.

Man darf den unmittelbaren militärischen Effekt des Ausfalls am 28. Juni 1504 sicher nicht überbewerten. Aber es war ein taktisch kluger und wirksamer Schachzug, der durch seinen Überraschungseffekt vor allem moralisch-psychologische Wirkung zeigte. Die Brettener haben tapfer gekämpft, aber letztlich auch viel Glück gehabt. Es hätte viel verheerender ausgehen können.

 

Bretten bleibt weiter kurpfälzisch.

Wie eine Ironie des Schicksals regelte sich kurz darauf die Erbfolge im Herzogtum Bayern- Landshut nach überirdischen Gesetzen. Ruprecht, der von Herzog Georg dem Reichen ausgewählte Schwiegersohn aus kurpfälzischem Hause, verstarb am 21. Juli 1504 an der Ruhr-Krankheit. Seine Gemahlin, die Herzogstochter Elisabeth folgte ihm am 15. September 1504. Durch die Vermittlung des „neutral“ gebliebenen Christoph Markgraf von Baden konnte am 10. September ein Waffenstillstand für den westlichen und südlichen Kriegsschauplatz geschlossen werden, dem im Januar 1505 auch ein Waffenstillstand für den besonders heftig umkämpften östlichen, bayrischen Kriegsschauplatz geschlossen werden. Als Folge kam es zu vielen neuen territorialen Gebilden und Verschiebungen der Machtverhältnisse, wonach auch König Maximilian, der spätere Kaiser, durch attraktiven Gebietsgewinn profitierte.

Die Kurpfalz musste als Folge des Landshuter Erbfolgekrieges hohe finanzielle Verluste und gravierende Einbußen ihres bisherigen Gebietsbestandes hinnehmen. Nach Kriegen wird immer deutlich, dass es den Beteiligten nicht nur auf die Eindämmung der Expansion des politischen Gegners ankommt, sondern immer auch eigene Gebietsansprüche bestehen. Nie mehr in der noch weiteren 300 Jahre währenden Geschichte als souveräner Staat sollte die Kurpfalz die gleiche Macht und Ausdehnung erfahren, die sie um 1500 herum hatte. Mit dem Griff nach dem Herzogtum Bayern-Landshut war nichts gewonnen – aber vieles für immer verloren.

Durch die abgewehrte Belagerung 1504 blieb Bretten im Südosten der Kurpfalz weitere fast 300 Jahre unter ihrer alten Landesherrschaft. Bretten kam 1803 zu Baden.

Wolfgang Stoll, April 2021

 

*Die Brettener Bürgerwehr wird urkundlich erstmals im Jahre 1824 erwähnt. Die Wiedergründung der Bürgerwehr erfolgte offiziell 1924. Die am 4. November 1921 gegründete Ortsgruppe der Badischen Heimat, also unser Vorgängerverein, lud zum 13. Mai 1924 sämtliche Vorstände der hiesigen Vereine und Organisationen mit der Stadtbehörde in das Gasthaus „Linde“ ein, um in dieser Besprechung die Wiedereinführung des Freischießens zu Peter-und-Paul anzuregen. Und dieser Gedanke der „Badischen Heimat“ wurde in die Tat umgesetzt. So sind es Schützenverein und Bürgerwehr in Bretten, die nach dem Zweiten Weltkrieg 1950 für eine Wiederbelebung des Festes sorgen und sich auf die Tradition des früheren sogen. Freischießens berufen.

**Der Historiker Heinz-Peter Mielke, 30 Jahre Leiter des Niederrheinischen Museums Grefrath kommt in seiner umfassenden Studie über das Geschlecht der Reifenberger zur Überzeugung, dass Marsilius von Reifenberg aus der belgischen Linie stamme.

Quellen:
Alfons Schäfer, Geschichte der Stadt Bretten von den Anfängen bis zur Zerstörung 1689, S. 199 – 209;
Peter Bahn, Brettener Jahrbuch, Neue Folge 3, 2003, S. 45 – 69
Axel Lange, Zwei Brüder schreiben Geschichte, 2017,
Michael Ertz, Geschichte der Bürgerwehr der Stadt Bretten, 1994,

Foto: Thomas Rebel

 

 


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